
Wut und Enttäuschung: Anwohnende der HafenCity fühlen sich im Stich gelassen
Am 14. November 2024 fand in der Katharinenschule eine Veranstaltung statt, die fast zwei Jahre zuvor angefragt und vorbereitet wurde. Im Rahmen eines Runden Tisches sollte alle verantwortlichen Behörden zusammen mit AnwohnerInnen aus der HafenCity Lösungen für die umfassenden Verkehrsprobleme in dem Stadtteil erarbeiten, ...
... die Anwohner schon seit Jahren beklagen, aber immer wieder an unklaren Verantwortlichkeiten und zähen Abläufen gescheitert sind. Am Ende eines langen Abends und jetzt nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des runden Tisches muss man ernüchtert feststellen: Es gibt leider keine Hoffnung auf schnelle Lösungen oder Entgegenkommen der meisten Behörden. Die AnwohnerInnen sind mehr denn je frustriert, wütend und fühlen sich von den Verantwortlichen allein gelassen. Statt konkreter Lösungen für die vielen Verkehrsprobleme gab es ausweichende Antworten und vermeintliche bürokratische Hürden. Vor allem die Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern bleibt auf der Strecke – mit tödlichen Konsequenzen, wie sich die letzten Jahre leider mehrfach gezeigt hat.
Ein modernes Verkehrskonzept? Fehlanzeige!
Die HafenCity Hamburg GmbH hatte einst mit einem innovativen Mobilitätskonzept geworben. Weniger Autos, mehr Platz für Fahrräder und Fußgänger – ein nachhaltiger Stadtteil sollte entstehen. Sogar in Kaufverträgen wurde dieses Konzept aufgenommen, um neue Bewohner in die HafenCity zu locken, die bereit sind, auf ihr Auto zu verzichten. Konsequenterweise wurde der Stellplatzschlüssel auf 0,4 reduziert, das heißt, dass pro 100 Wohnungen nur 40 Stellplätze gebaut werden und im neuen Stadtteil Grasbrook dieser Schlüssel sogar auf 0,2 reduziert werden soll. Dies kam dem Wunsch der meisten Anwohnenden nach einer autoarmen Nachbarschaft sehr entgegen. Doch wie sich beim Runden Tisch zeigte, fühlt sich die Realität für viele Anwohner ganz anders an.
Viele AnwohnerInnen bestätigen, dass der Eindruck entsteht, man wurde mit dem Versprechen gelockt, in einem zukunftsfähigen, autoarmen Quartier zu leben, und muss nun aber zusehen, wie immer mehr Autos durch den Stadtteil fahren und dieser Verkehr darf um keinen Preis behindert werden.
Tatsächlich steht das Verkehrskonzept der HafenCity schon lange in der Kritik. Auf einem Empfang zum 15-jährigen Jubiläum der HafenCity Zeitung im Dezember 2024 sagte der frühere Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) „Ein Verkehrskonzept ist, vorsichtig gesagt, nicht wirklich sichtbar. Es gibt verzweifelte Radfahrer, die sich nicht sicher fühlen, und es gibt genauso verzweifelte Autofahrer, die nicht vorankommen. Und zwischendrin Fußgänger, die sich behaupten müssen. Ich wünsche mir stattdessen ein ganzheitliches, ökologisches und den Menschen angepasstes Verkehrskonzept.“ Das Verkehrskonzept für die HafenCity ist inzwischen mehr als 20 Jahre alt und wurde seitdem nicht mehr grundlegend an eine tatsächliche Mobilitätswende angepasst. Statt breite Radwege, fußgängerfreundliche Ampelschaltungen oder verkehrsberuhigte Zonen zu schaffen, liegt der Fokus weiterhin darauf, dass der motorisierte Verkehr auf mehrspurigen Straßen möglichst ungehindert fließen kann. Besonders kritisch ist dabei der steigende Durchgangsverkehr, vor allem mit der Eröffnung des neuen Einkaufszentrums Westfield Überseequartier.
„Die Bewohnenden der HafenCity sind erhöhtem Lärm und Schadstoffen durch den Durchgangsverkehr, vor allem in den Straßen Versmannstraße und Shanghaiallee, ausgesetzt“, heißt es in der Dokumentation des Runden Tisches und auch die große Menge an Reisebussen verursachen sowohl weiteren Verkehr als auch während der Standzeiten im Quartier Emissionen durch laufende Motoren.
Trotz dieser Belastung gibt es laut der Behörden derzeit keine konkreten Pläne zur Verkehrsberuhigung. Stattdessen wird auf zukünftige Entwicklungen verwiesen:
„Die BVM (Behörde für Verkehr und Mobilitätswende) wies darauf hin, dass die Fertigstellung der HafenCity abgewartet werden sollte, um das Thema Durchgangsverkehr dann erneut zu betrachten und einzuschätzen“.
Für die Anwohner klingt das wie eine Hinhaltetaktik mit dem Ergebnis, dass man noch Jahre mit dieser Belastung leben muss, bevor sich überhaupt etwas ändert.
Radfahrer und Fußgänger bleiben auf der Strecke
Besonders große Sorgen bereitet den Bewohnern die Verkehrssicherheit. Die HafenCity ist als fahrrad- und fußgängerfreundliches Quartier geplant – doch in der Praxis sieht das anders aus. Radfahrer kämpfen mit viel zu schmalen Radwegen, gefährlichen Kreuzungen und unklaren Verkehrsführungen.
„Die Baakenallee ist zu eng und hat zu viele parkende Autos“, wurde auf einer der Stellwände des Runden Tisches notiert. Ein weiteres großes Problem ist die mangelnde Sicherheit an Kreuzungen.
„Besonders das Linksabbiegen wurde an vielen Stellen als schwierig beschrieben, beispielsweise in der Shanghaiallee oder in der Osakaallee“.
AnwohnerInnen fordern schon lange eine starke Ausweitung von Tempo 30 nach Möglichkeit auf alle Straßen in der HafenCity. Das würde die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer verbessern, den Ausstoß von Schadstoffen reduzieren, den Verkehrslärm mindern und insgesamt die Aufenthaltsqualität sowohl für Anwohnende als auch für die vielen Touristen, die die HafenCity besuchen, stark erhöhen. Hier ist leider bisher kein Wille auf Seiten der zuständigen Behörden sichtbar, diese Forderungen nach Tempo-30-Zonen und -Strecken umzusetzen.
Auch für Fußgänger gibt es zu wenige sichere Übergänge und so wurden zusätzliche Zebrastreifen, auch in bestehenden oder möglichen Tempo-30-Zonen gefordert. Doch die Behörden wiesen diese Forderung mit Verweis auf rechtliche Hürden zurück.
„Eine Festsetzung des Tempolimits auf 30 km/h als Tempo-30-Zone würde weitere verkehrsberuhigende Maßnahmen, wie das Einrichten eines Zebrastreifens, ausschließen“.
Doch diese Argumentation ist mindestens fragwürdig und erscheint vorgeschoben. In anderen deutschen Städten gibt es durchaus Zebrastreifen in Tempo-30-Zonen, wenn ein hohes Querungsbedürfnis besteht. Dies ist auch explizit in den sogenannten „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen“ (R-FGÜ). Dass dies plötzlich in der HafenCity nicht möglich sein soll, überzeugt die AnwohnerInnen nicht. Es wirkt eher so, als ob man sich hier bewusst hinter Verwaltungsvorschriften versteckt, um nicht handeln zu müssen.
Tödliche Unfälle – und trotzdem passiert nichts
Der wohl schwerwiegendste Vorwurf der Anwohnenden: Die Stadt nehme die Gefahr für Fußgänger und Radfahrer nicht ernst – obwohl es bereits mehrere tödliche Unfälle gegeben hat.
Erst im Februar 2023 wurde eine 34-jährige Radfahrerin an der Kreuzung Überseeallee/Osakaallee von einem abbiegenden LKW-Fahrer mit dessen Fahrzeug erfasst und getötet.
Nur zwei Monate später wurde ein siebenjähriges Kind am anderen Ende der Osakaallee von einem Bus überfahren und starb noch vor Ort.
Im Februar 2024 wurde ein 34-jähriger Mann an einer Fußgängerampel in der Versmannstraße von einem Auto angefahren und dabei so schwer verletzt, dass ihm ein Unterschenkel amputiert werden musste.
Trotz dieser tragischen Vorfälle hat sich an der Verkehrsführung an all diesen Orten so gut wie nichts geändert. Anwohner fordern nun, dass zumindest an den Unfallstellen sichere und vor allem schnelle Lösungen gefunden werden – doch die öffentliche Seite bleibt vage.
Anwohnende wehren sich
Die große Enttäuschung über den Runden Tisch führt dazu, dass viele Anwohnende nun noch stärker aktiv werden wollen. Es verstärkt sich der Eindruck, dass wenn die Stadt die Bewohner der HafenCity nicht ausreichend schützt, dann müssen sie lauter werden.
Die Idee eines regelmäßigen Runden Tisches wurde von vielen begrüßt, doch die Behörden dämpften diese Hoffnung bereits.
„Während der Veranstaltung wurde jedoch deutlich gemacht, dass ein regelmäßiger Austausch in einem Format, das die Einbindung aller zuständigen Fachakteurinnen und Fachakteuren erfordert, aus kapazitären Gründen nicht möglich sei“.
Für die Anwohner bedeutet das: Sie werden noch stärker für sinnvolle Verbesserungen kämpfen müssen, um Gehör zu finden. Am Ende sind sie diejenigen, die unter den Fehlplanungen leiden müssen.
Fazit: Eine Stadt der Zukunft? Nur für Autos.
Die HafenCity wurde als Vorzeigeprojekt für zukunftsweisende und nachhaltige Stadtentwicklung geplant, mit der sich die Stadt Hamburg regelmäßig im In- und Ausland im strahlenden Licht rühmt – doch in der grauen Realität des Alltags hat der Autoverkehr immer noch Vorrang. Statt innovativer Mobilitätslösungen gibt es Stau, Lärm und gefährliche Straßen für Fußgänger und Radfahrer.
Die AnwohnerInnen fühlen sich betrogen und haben den Glauben an die Versprechen der Stadt und der HafenCity Hamburg GmbH verloren. Der Runde Tisch hat einmal mehr gezeigt: Wer in der HafenCity lebt, muss sich dem Autoverkehr unterordnen – ob er will oder nicht. Doch die Bürger sind entschlossen, das nicht länger hinzunehmen.
Wie die Stadt auf die wachsenden Proteste reagieren wird, bleibt abzuwarten. Zu hoffen bleibt, dass diese Unentschlossenheit und Zögerlichkeit keine weiteren Todesopfer unter Fußgängern und Radfahrern mehr fordert.
Die BewohnerInnen haben konkrete Forderungen an die Politik und Behörden gestellt, um eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrssituation in der HafenCity zu erreichen:
1. Klare Vorgaben an alle beteiligten Behörden, zur Priorisierung von Rad- und Fußverkehr in allen Verkehrsplanungen. Hierbei unter anderem mit den folgenden Maßnahmen:
- Versmannstraße mit einem Fahrstreifen pro Richtung verstetigen.
- Radroute vom Kleinen Grasbrook über die Versmannstraße in die Innenstadt weiterführen, dabei die Fahrbahn auf der Häuserseite als Fahrradstraße umbauen.
- Verkehrsberuhigung in den Wohnquartieren durch z. B. modale Filter/Durchfahrtssperren für Kfz.
- Lückenschluss breiter Radwege auf der Oberbaumbrücke unter Beibehaltung der Mittelinsel als Querungshilfe
- Auf der Magdeburger Brücke endlich geschützte Radwege anlegen
- Planung einer Brücke zum Kleinen Grasbrook für Rad- und Fußverkehr
2. Geschwindigkeitskonzept für die HafenCity entwickeln und umsetzen mit den Zielen:
- Auf den Nebenstraßen großflächige Tempo-30-Zonen zur Verkehrsberuhigung und Erhöhung der Verkehrssicherheit
- Auf den Hauptverkehrsstraßen Tempo-30-Strecken einrichten zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und zum Schutz vor Lärm und Luftverschmutzung
3. Überarbeitung des Verkehrskonzeptes HafenCity mit dem langfristigen Ziel, den motorisierten Individualverkehr auf ein Minimalmaß zu reduzieren. Insbesondere sollten die folgenden Punkte berücksicht
- Erarbeitung von autofreien Anfahrtsalternativen zum Westfield Überseequartier (z.B. dezentraler Park & Ride Verkehr)
- Verstärkte Nutzung von Einbahnstraßen für Autos, um durch den Wegfall einer Spur Platz für breitere Rad- und Fußwege zu ermöglichen (z.B. auf der Magdeburger Brücke, Kornhausbrücke oder Brooksbrücke)
- Konsequente Vorgabe der autofreien Anfahrt für die geplante Staatsoper auf dem Baakenhöft.
4. Frühzeitige Involvierung von Anwohnenden
Frühzeitige Involvierung von Anwohnenden in alle laufenden und zukünftigen Verkehrsplanungsprojekten in der HafenCity.
5. Fortlaufender, regelmäßiger Austausch
Fortlaufender, regelmäßiger Austausch mit den verantwortlichen Behörden zu den neuralgischen Punkten in der HafenCity mit einer klaren Berichterstattung, wenn einzelne Verbesserungen angeblich nicht machbar sind.